Christian Schmid ist ein Schweizer Mundartspezialist, Autor, Publizist und Performer. Seine wichtigsten Publikationen sind "Botzheiterefaane", "Blas mer i d Schue", "Näbenusse" und "Da hast du den Salat".

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01.10.2024 Chäferfüdletroche - wortgeschichtliche Tauchgänge, 15.15 Uhr, Seniorenforum Werdenberg, Hochschule OST, Buchs SG

 





Wort oder Ausdruck der Woche

Zu Morgen essen

Geben Sie im elektronischen «Sprachatlas der deutschen Schweiz» (sprachatlas.ch) im Suchfeld «Frühstück» ein, sehen Sie, wenn Sie die entsprechende Karte öffnen, dass man diese Mahlzeit im grössten Teil der Deutschschweiz als Zmorge oder Zmorged bezeichnete. Ein beträchtlicher Teil der Mundartsprecherinnen und -sprecher braucht heute vielleicht eher das aus dem Hochdeutschen entlehnte Früestück. Im «Variantenwörterbuch des Deutschen» ist Zmorge als Helvetismus aufgeführt mit der Bemerkung «Grenzfall des Standards». Dem Essen des Zmorge sagen wir Zmorge ässe oder, in eine Verbform umgewandelt, zmörgele. Im Werbeschweizerdeutschen, der wohl übelsten Sprachform der Welt, sagt man heute nicht mehr Flöckli Zmorgen ässe oder Flöckli zmörgele, sondern Cerealie früestücke.

Der Ausdruck zu Morgen essen, älter ze Morgen essen, ist im südlichen Teil des deutschen Sprachraums in schriftlichen Quellen seit über fünfhundert Jahren belegt. Allerdings bezeichnete der Ausdruck oft nicht das Frühstück, sondern das Mittagessen. Marius Fallet-Scheurer schreibt 1916 dazu:

«Der Ausdruck Morgenessen bezeichnete ursprünglich ausschliesslich das Frühstück, das zwischen 5 und 7 Uhr morgens eingenommen wurde, später brauchte man ihn aber auch zur Bezeichnung der Hauptmahlzeit, nämlich des Mittagessens, das zwischen 10-12 Uhr eingenommen wurde.»

Bestätigen lässt sich das bei Zwingli im 16. Jahrhundert, der schreibt: «Nachdem erloubt ein Bürgermeister von Zürich yedermann in syn herberg zue gon zue morgen zue essen, dann es was nachent mittentag (denn es war fast Mittag)».  

Wir begegnen dem Ausdruck ze morgen essen schon im 15. Jahrhundert z. B. in Diepold Schillings «Berner Chronik» (1424–1468): «ze Ragatz ze morgen essen». Dann auch in der «Warhafftigen und fleissigen Beschreibung» von 1578 des Basler Arztes und Hochschullehrers Heinrich Pantaleon: «wann du aber zu morgen wilt essen solt du doch im nicht zu vil thun / damit der Magen nicht beschweret» und im «Neuw Wasserschatz» von 1581 des Rheinländers Jacob Theodorus: «sechtzehen Untz dess Weinbrunnens zu einer abspülung trincken und als bald darauff zu Morgen essen».

Die Bezeichnung Frühstück ist seit dem 15. Jahrhundert belegt. Wir begegnen ihr z. B. in Moritz von Sachsens «Der Tuchscherer und Scherenschleifer Ordenung» von 1550: «Wann auch ein Gesell gewandert kombt / und zu einem Meister einkeret / sol inen der Meister / oder seines abwesens / sein weib oder gesinde / eine nacht herbergen / und nicht zu einem andern weysen / oder durch sein Weib unnd Gesinde weisen lassen / auff den abendt eine Mahlzeit / unnd auffn morgen eine suppen oder früestück geben.» Im Text wird zwischen Suppe und Frühstück unterschieden, denn mit Frühstück bezeichnete man ursprünglich ein in der Frühe gegessenes Stück Brot. Man nannte das auch Morgenbrot; in einem Text von 1516 lesen wir: «nach dem morgenbrot / facht die arbeit an / und nach dem abendessen der lon für die arbeit und die ruow.» Der Zürcher Josua Maaler schreibt in seinem Wörterbuch aus dem 16. Jahrhundert: «Das morgenässen, jentaculum, morgenbrötle, prandiculum». Und im Sempacherlied sangen die Eidgenossen: «Nun gend haruss ein morgenbrot, das wend die mäder haben! Do antwurt ein burger uss der statt: wir wend in gen ein morgenbrot, das ritter und ouch grafen am mad wird ligen tot.»

Erwähnt sei noch, dass englisches breakfast im 15. Jahrhundert aus dem älteren Ausdruck breken faste aus dem 14. Jahrhundert gebildet wurde und meinte, dass man die Fasten der vergangenen Nacht bricht. Älteres französisches déjeuner aus dem 12. Jahrhundert meint dasselbe, nämlich rompre le jeûne «brechen der Fasten». Jeûner «fasten» geht auf die christliche lateinische Bezeichnung jejunare «fasten» zurück.  

(Die gesammelten Wörter der Woche finden Sie hier und in überarbeiteten Versionen im Buch "Chäferfüdletroche", das im Cosmos Verlag erschienen ist. Siehe oben)


Der Sprachatlas der deutschen Schweiz ist online! 13 Jahre lang habe ich an diesem Werk mitgearbeitet und seine Online-Ausgabe ist prächtig geworden, eine grossartige Arbeit. Schaut rein, es lohnt sich.


Neoländler, die Musikgruppe von EIGETS, hat eine prachtvolle neue CD gemacht


Siehe unter neolaendler.ch






AALUEGE

Eine Seite aus dem schönen Züritüütsch-Chinderchochbuech "Misch & Masch", das die Handelskette BachserMärt herausgegeben hat:  


Zum Baselbieter Mundartautor Jonas Breitenstein (1828-1877), der sehr schöne Hexameteridyllen geschrieben hat, gibt es eine sehr lesenswerte Website, in welcher eine umfangreiche Dokumentation zu Leben, Werk und Umfeld des Baselbieter Pfarrers und Dichters zusammengestellt ist.

 


Ein für Mundartinteressierte wichtiges, wunderbares, neues Buch, das endlich einen umfassenden Überblick gibt über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen. Herausgeber: Emanuel Ruoss und Juliane Schröter, erschienen im Schwabe Verlag:

  Schweizerdeutsch


In der Deutschschweiz hat die Reflexion über die eigenen Dialekte und deren Verhältnis zum Hochdeutschen eine lange Tradition. «Schweizerdeutsch» ist das erste Buch, das einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen gibt. Es zeichnet die wichtigsten öffentlichen Debatten darüber seit 1800 nach und ordnet sie in ihre politischen und kulturhistorischen Zusammenhänge ein. So macht es verständlich, wie Schweizerdeutsch in der Vergangenheit wahrgenommen und beurteilt wurde und warum es bis heute einen wesentlichen Teil der Deutschschweizer Identität bildet.

Der Gitarrist und Lautenist Christoph Greuter, mit dem ich oft und gern auftrete, hat zwei neue Lauten-CDs gemacht, die demnächst im Handel erscheinen:

ARCADIA | Italienische Lautenmusik der Hochrenaissance

Label : Narrenschiff (Nar 2020146)
SPREZZATURA | Tänze + Ricercari aus den frühesten Lautenhandschriften

Label : Narrenschiff (Nar 2020147)

Hörmuster auf www.christophgreuter.ch


Artikel, Tondokumente und Video

Schaffhauser Fernsehen "hüt im Gspröch" vom 4. März 2024

Interview "Mundartliteratur sollte endlich wieder erforscht werden!" auf blog.berndeutsch.ch

Der Generationentalk mit Estelle Plüss (Best-Elle), geleitet von Elias Rüegsegger vom Generationentandem und im Generationenhaus Bern am 17.12.2019

Schaffhauser Fernsehen "Hüt im Gspröch" mit Alfred Wüger vom November 2019 (zum Buch "Häbet nech am Huet")

"Reden wir überhaupt noch Dialekt?" Interview von Lena Rittmever im Bund vom 25.10.2019

"Mundartforscher Christian Schmid: 'Das ist eine Stadt-Land-Geschichte'", Interview mit Martin Uebelhart in der Luzerner Zeitung vom 4.5.2018

Mundart-Experte Christian Schmid beantwortet Leser-Fragen im Blick vom 23.10.2017 

"Die Pendler nehmen Wörter mit nach Hause", Interview mit Daniel Arnet im  Sonntagsblick 2017

"Der Wörtli-Schmid und seine Redensarten" Schnabelweid mit Christian Schmutz, SRF1 am 9.11.2017

Schwiizerdütsch im Top Talk auf Tele Top 2017

"Werum sich d Mundart dörf verändere" in Volksstimme vom 31.1.2017

Christian Schmid erzählt die Sage von der Scheidegg-March