Christian Schmid ist ein Schweizer Mundartspezialist, Autor, Publizist und Performer. Seine wichtigsten Publikationen sind "Botzheiterefaane", "Blas mer i d Schue", "Näbenusse" und "Da hast du den Salat".

Der Trost der Ökosphäre

Alle Erdverbundenen sitzen im selben Boot, es gibt keine Ausnahmen! Die Ökosphäre ist das einzige «Wesen», das sich als autonomes Individuum verstehen kann, denn sie beinhaltet alles, was sie ausmacht, mit ihren Kreisläufen und Netzwerken. Menschen, die von sich behaupten, sie seien autonome Individuen, kommen mir neuerdings immer etwas lächerlich vor. Ohne die Abgase oder Ausscheidungen von Pflanzen, die sie atmen müssen, damit sie Leben können, wären sie nichts. Ohne das Wasser, das sie in ihrem Körper haben und das ihren Körper umgibt, wären sie nichts. Ohne das pflanzliche oder tierische Leben, das sie essen müssen, damit das Erkennen ihres Selbst, ihr Geist und ihr Selbstbewusstsein funktionieren, wären sie nichts. Ohne die Mikroben in ihrem Körper, deren Zahl die Zahl ihrer körpereigenen Zellen übertrifft, würden sie sterben.

Viele von uns schauen dem Ökozid, den wir verursachen, dem massenhaften Verschwinden von Insekten und Vögeln, der Zerstörung der Wälder relativ ungerührt zu. Es hat ja noch! Ich frage mich jedoch, weshalb so viele Vögel, die mich sehr erfreuen, das ganze Jahr durch in unseren Garten kommen, in dem es ein Futterhäuschen hat und alte Bäume: Spatz, Kohl-, Blau- und Sumpfmeise, seltener Schwanzmeise, Kleiber, Grünfink, Buchfink, Distelfink, Amsel, Girlitz, Kernbeisser, Star, Wacholderdrossel, Amsel, Grün- und Buntspecht, Ringel- und Türkentaube, Bergfink, im Winter zuweilen auch ein Wildentenpaar. Sie kommen ja nicht, weil sie uns mögen. Sie kommen, weil sie brauchen, was sie hier finden und was es andernorts weniger oder nicht mehr hat. Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Massenexodus von Mikroben aus unserem Darm! Die können ja miteinander kommunizieren, wie wir seit jüngster Zeit wissen. Obwohl wir sie nicht sehen, würden wir ihr Verhalten fühlen: es ginge uns allen zunehmend schlechter. Wir würden alle Hebel in Bewegung setzen, um sie umzustimmen. Viele von uns haben noch nicht begriffen, dass der Ökozid der Insekten, Vögel und Wälder uns genau so trifft. Sie sitzen ebenfalls im Boot der Erdverbundenen.

Dann gibt es noch jene, die glauben, hienieden sei ein Jammertal, das wir Menschen nur kurz durchwandern müssen. Das wahre Sein fänden wir irgendwo oben im Paradies. Es gibt kein oben, auch für das nicht, von dem viele überzeugt sind, dass es nicht Teil der Ökosphäre sei: die Seele. Diejenigen, die davon träumen, auf den Mars zu entfliehen, werden die Ökosphäre nicht mitnehmen können.

Wir fühlen uns nur dann als Gefangene der Ökosphäre, wenn wir uns partout als autonome Individuen begreifen wollen und uns dazu einen freien Willen und ein unbegrenztes Spielfeld konstruieren, jede und jeder für sich. Jede Abhängigkeit kränkt uns dann. Das Anerkennen der Erdverbundenheit befreit uns von solchen Fakekränkungen. Die Ökosphäre tröstet uns, weil wir uns in ihr aufgehoben fühlen dürfen.