Mein neues Buch ist im Buchhandel: mehr hier
01.10.2024 Chäferfüdletroche - wortgeschichtliche Tauchgänge, 15.15 Uhr, Seniorenforum Werdenberg, Hochschule OST, Buchs SG
08.11.2024 Chäferfüdletroche - wortgeschichtliche Tauchgänge, Topoff Interlaken
Christian Schmid ist ein Schweizer Mundartspezialist, Autor, Publizist und Performer. Seine wichtigsten Publikationen sind "Botzheiterefaane", "Blas mer i d Schue", "Näbenusse" und "Da hast du den Salat".
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De Müüse sii
Der Emmentaler Schriftsteller Simon Gfeller schreibt in seiner Erzählung «Der Abgott» von 1933 über die neue Zeit: «Niemmer dörf meh ungsorget i Tag yhe läbe, süsch syg er de Müüse. Rächne müess me chönne, ’s ganze Läbe rächnerisch erfasse u durchdringe; ohni das chöm me im eifachschte Chrämerlädeli u im abglägnischte Burehuus nümmen us.»
In diesem Satz braucht Gfeller die Redensart de Müüse sii im Sinne von «verloren sein». Beim Klettgauer Albert Bächtold lesen wir im Roman «De goldig Schmid» von 1942: «d Ersparniss und s Vermöge von ere ganze Generazioon isch de Müüse». Auch hier meint de Müüse sii «verloren». Peter Imhof braucht die Redensart 2012 in «Senseflüe: Gschichte us em Schwarzeburger- u Senseland»: «En inzige lätze Schritt, sech stogle are Würze, usrütsche – de bisch de Müüse.» Hier meint de Müüse sii «tot sein». In dieser Bedeutung ist die Redensart auch im «Schweizerischen Idiotikon»: i bi fascht de Müüse gsii «war beinahe des Todes». Im «Berndeutschen Wörterbuch» lesen wir das isch de Müüse «die Sache ist verloren», in «Adelbodetütsch» gang nùmen i d Eigernordwand, de bischt denn de Müsä «dann kommst du um».
Aus meiner Kinderzeit in den 1950er-Jahren ist mir de Müüse sii gut bekannt; neben «verloren» und «tot» konnte die Redensart, Dinge betreffend, auch «kaputt» meinen: das chaisch nümm flicke, das isch de Müüse. Sie ist im Bernbiet vom Mittel- bis ins Oberland gut belegt, sonst nur vereinzelt im Aargauischen und bei Bächtold für den Klettgau. Im Hochdeutschen finde ich dafür keine Entsprechung. Die e-Dativendung bei Müüse zeigt, dass die Redensart ein gewisses Alter hat; heute würde man eher sagen de Müüs sii. Als die Mäuse noch eine Plage waren, war alles, was sie erwischten, verloren. Es wurde gefressen oder zernagt.
In vielen Mundarten gut belegt im Süden des deutschen Sprachraums ist hingegen das ist den Mäusen gepfiffen «das nützt nichts, das ist umsonst». Im «Berndeutschen Wörterbuch» lesen wir das isch nume de Müüse pfiffe «hat gar keinen Sinn», im «Schaffhauser Mundartwörterbuch» da ischt ja grad au in Müüse pfiffe «kaum der Rede wert», im «Baseldeutsch-Wörterbuch» von Suter das isch de Myys pfiffe «das ist ein Tropfen auf den heissen Stein, vergebliche Liebesmüh», im «Alemannischen Wörterbuch» der süddeutschen Alemannen des isch soviel wiä de Miis pfiffe «das ist nutzlos», in der «Etymologie des Schwäbischen» des ist de Meis pfiffe «das hat keinen Sinn, das führt zu nichts», im «Pfälzischen Wörterbuch» des is jo de Mais gepfiffe «viel zu wenig, nutzlos». Bereits Gotthelf schrieb in der Erzählung «Erlebnisse eines Schuldenbauers» von 1854: «So, wie du es machst, ists ume de Müse pfiffe!»
Den Mäusen gepfiffen ist auch im Hochdeutschen seit der Zeit um 1800 gut belegt. Die Redensart gilt als umgangssprachlich und ist in keinem Duden-Nachschlagewerk von heute aufgeführt. Man konnte einem Hund oder einem Untergebenen pfeifen, um ihn zu sich zu beordern. Pfeift man den Mäusen, hat das keine Wirkung, ist nutzlos. So kann man die Redensart erklären. Ernst Ludwig Rochholz behauptet in «Deutscher Unsterblichkeitsglaube» von 1867: «Den Mäusen pfeifen, heisst den Seelen ein Zeichen geben, um von ihnen abgeholt zu werden. […] Mäuse sind Seelen.» Obwohl Mäuse im Aberglauben in enger Beziehung zum Tod stehen können und einige Geisteswissenschaftler des 19. Jahrhunderts Rochholz’ Behauptung wiederholten, lässt sich für einen direkten Zusammenhang von den Mäusen pfeifen mit dem Tod kein Beleg finden. Gäbe es einen Zusammenhang, müsste die Redensart viel älter sein.(Die gesammelten Wörter der Woche finden Sie hier und in überarbeiteten Versionen im Buch "Chäferfüdletroche", das im Cosmos Verlag erschienen ist. Siehe oben)
Zum Baselbieter Mundartautor Jonas Breitenstein (1828-1877), der sehr schöne Hexameteridyllen geschrieben hat, gibt es eine sehr lesenswerte Website, in welcher eine umfangreiche Dokumentation zu Leben, Werk und Umfeld des Baselbieter Pfarrers und Dichters zusammengestellt ist.
Ein für Mundartinteressierte wichtiges, wunderbares, neues Buch, das endlich einen umfassenden Überblick gibt über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen. Herausgeber: Emanuel Ruoss und Juliane Schröter, erschienen im Schwabe Verlag:
In der Deutschschweiz hat die Reflexion über die eigenen Dialekte und deren Verhältnis zum Hochdeutschen eine lange Tradition. «Schweizerdeutsch» ist das erste Buch, das einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen gibt. Es zeichnet die wichtigsten öffentlichen Debatten darüber seit 1800 nach und ordnet sie in ihre politischen und kulturhistorischen Zusammenhänge ein. So macht es verständlich, wie Schweizerdeutsch in der Vergangenheit wahrgenommen und beurteilt wurde und warum es bis heute einen wesentlichen Teil der Deutschschweizer Identität bildet.
Der Gitarrist und Lautenist Christoph Greuter, mit dem ich oft und gern auftrete, hat zwei neue Lauten-CDs gemacht, die demnächst im Handel erscheinen:
ARCADIA | Italienische Lautenmusik der Hochrenaissance
Label : Narrenschiff (Nar
2020146)
SPREZZATURA | Tänze + Ricercari
aus den frühesten Lautenhandschriften
Label : Narrenschiff (Nar 2020147)
Hörmuster auf www.christophgreuter.ch
"Mundartforscher Christian Schmid: 'Das ist eine Stadt-Land-Geschichte'", Interview mit Martin Uebelhart in der Luzerner Zeitung vom 4.5.2018
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"Die Pendler nehmen Wörter mit nach Hause", Interview mit Daniel Arnet im Sonntagsblick 2017
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