Mein neues Buch, das im Oktober erscheint: mehr hier
E Chutte cheuter
Nimm öppis Waarms mit, dert oben isch es den e Chutte cheuter weder hie oder leg di waarm gnue aa, im Waud isch es e Chutte cheuter. In solchen und ähnlichen Mahnungen hörte ich die Redensart e Chutte cheuter «spürbar kälter, einiges kälter» oft in meiner Jugend. Ich verortete sie in der bäuerlichen Welt. Dieser Meinung ist auch der als Bauernsohn aufgewachsene Mundartautor Adolf Schaer, denn er schreibt in seinem Lebensbericht «Jeder pfeift auf seinem Ast» (1963): «Das geistige Klima der Berner Universität, wohin ich übersiedelte, fand ich – wie der Bernerbauer sagt – ‹eine Kutte kälter› gegenüber demjenigen Genfs.» Für Ruth Bietenhard gehört sie auch in die Stadt, denn sie führt im «Berndeutschen Wörterbuch» in eher städtischer Mundart auf: Z Bärn isch es immer e Chutte chelter als z Thun.
Der älteste Beleg, der mir zu dieser Redensart vorliegt, ist vom Obergerlafinger Landarzt Jakob Hofstätter. Im Beitrag «Der Bucheggberg. Eine Schilderung von Land und Leuten» von 1858 nennt er den «Volksausdruck […] sehr treffend: hier ist es schon ‹umene Chutte chälter›». Dann begegne ich ihr im Band «Twann» (1922) von Emanuel Friedlis monumentalem «Bärndütsch als Spiegel des bernischen Volkstums»: «Das abgeführte Wasser fliesst in der Regel so reich, dass es bi’m Bach um ene Chutte chelter isch als in den übrigen Teilen Twanns.» Und schliesslich berichtet Walter Studer in seinen «Untersuchungen über Arbeitswirtschaft und Arbeitstechnik in bernischen Bauernbetrieben» von 1946: «Vom ‹z’Märitfahren› weiss man, dass ‹es ga Bärn gäng um e Chutte chelter syg weder hie›.»
E Chutte weermer «spürbar wärmer» ist weniger gut belegt, aber es gibt auch diese Redensart, z. B.in Otto Flückigers «Die Schweiz aus der Vogelschau» von 1923: «da ussefür ischs aber umene Chute wermer» und in Simon Gfellers «Landbärner» von 1942: «Aber änenobe isch es fasch um ene Chutte wermer gsi.»
Bis jetzt scheint es so, als sprächen wir von einer Berner Redensart. Der Schein trügt, weil die Beispiele einseitig gewählt sind. Sie ist in der Deutschschweiz und darüber hinaus verbreitet. Im «Schaffhauser Mundartwörterbuch» finden wir en Schoope chelter wäärde «spürbar kälter werden», im «Zürichdeutschen Wörterbuch» muesch di en Schoope wèèrmer aalegge. Im Schwarzwald und im Schwäbischen ist ein Kittel kälter gang und gäbe und wird oft im Zusammenhang mit der Schwäbischen Alb verwendet, z. B. in «Wie dr Schwob schwätzt» (1990) von Norbert Feinäugle und Hermann Fischer: Oh, bei o’s uf dr Alb isch es halt äwwel an Kittel kälter «immer um einiges kälter». In «Mein Schwarzwald Magazin» lesen wir am 12. April 2023: «In den Höhenlagen kann es auch im Sommer mal gerne ‹einen Kittel kälter› sein. Sogar im «Rheinischen Wörterbuch» finden wir den Ausdruck et es höck (heute) öm en ganze Ke(tt)el kaler (kälter). Aus der Mundart ist die Redensart ins Hochdeutsche gerutscht: In der «Tageszeitung» vom 19. Februar 1997 titelt Philippe André: «Ulm: Deutschlands unwirtlichste Stadt im Winter – Immer einen Kittel kälter». Und der Vorarlberger Reinhold Bilgeri schreibt in seinem Roman «Der Atem des Himmels» von 2021: «In Ernas Zimmer war es inzwischen schon eine Joppe kälter als die Tage zuvor.»(Die gesammelten Wörter der Woche finden Sie hier und in absehbarer Zeit in überarbeiteten Versionen in einem Buch, das im Cosmos Verlag in Arbeit ist. Arbeitstitel: Chäferfüdletroche)
Neoländler, die Musikgruppe von EIGETS, hat eine prachtvolle neue CD gemacht
Siehe unter neolaendler.ch

AALUEGE
Eine Seite aus dem schönen Züritüütsch-Chinderchochbuech "Misch & Masch", das die Handelskette BachserMärt herausgegeben hat:
Zum Baselbieter Mundartautor Jonas Breitenstein (1828-1877), der sehr schöne Hexameteridyllen geschrieben hat, gibt es eine sehr lesenswerte Website, in welcher eine umfangreiche Dokumentation zu Leben, Werk und Umfeld des Baselbieter Pfarrers und Dichters zusammengestellt ist.
Ein für Mundartinteressierte wichtiges, wunderbares, neues Buch, das endlich einen umfassenden Überblick gibt über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen. Herausgeber: Emanuel Ruoss und Juliane Schröter, erschienen im Schwabe Verlag:
In der Deutschschweiz hat die Reflexion über die eigenen Dialekte und deren Verhältnis zum Hochdeutschen eine lange Tradition. «Schweizerdeutsch» ist das erste Buch, das einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen gibt. Es zeichnet die wichtigsten öffentlichen Debatten darüber seit 1800 nach und ordnet sie in ihre politischen und kulturhistorischen Zusammenhänge ein. So macht es verständlich, wie Schweizerdeutsch in der Vergangenheit wahrgenommen und beurteilt wurde und warum es bis heute einen wesentlichen Teil der Deutschschweizer Identität bildet.
Der Gitarrist und Lautenist Christoph Greuter, mit dem ich oft und gern auftrete, hat zwei neue Lauten-CDs gemacht, die demnächst im Handel erscheinen:
ARCADIA | Italienische Lautenmusik der Hochrenaissance
Label : Narrenschiff (Nar
2020146)
SPREZZATURA | Tänze + Ricercari
aus den frühesten Lautenhandschriften
Label : Narrenschiff (Nar 2020147)
Hörmuster auf www.christophgreuter.ch
"Häbet nech am Huet" (10.11.2020) im Nighttalk auf Radio Zürisee.
Interview "Mundartliteratur sollte endlich wieder erforscht werden!" auf blog.berndeutsch.ch
Der Generationentalk mit Estelle Plüss (Best-Elle), geleitet von Elias Rüegsegger vom Generationentandem und im Generationenhaus Bern am 17.12.2019
Schaffhauser Fernsehen "Hüt im Gspröch" mit Alfred Wüger vom November 2019 (zum Buch "Häbet nech am Huet")
"Reden wir überhaupt noch Dialekt?" Interview von Lena Rittmever im Bund vom 25.10.2019
"Mundartforscher Christian Schmid: 'Das ist eine Stadt-Land-Geschichte'", Interview mit Martin Uebelhart in der Luzerner Zeitung vom 4.5.2018
Mundart-Experte Christian Schmid beantwortet Leser-Fragen im Blick vom 23.10.2017
"Die Pendler nehmen Wörter mit nach Hause", Interview mit Daniel Arnet im Sonntagsblick 2017
"Der Wörtli-Schmid und seine Redensarten" Schnabelweid mit Christian Schmutz, SRF1 am 9.11.2017
Schwiizerdütsch im Top Talk auf Tele Top 2017
"Werum sich d Mundart dörf verändere" in Volksstimme vom 31.1.2017
Christian Schmid erzählt die Sage von der Scheidegg-March