Christian Schmid ist ein Schweizer Mundartspezialist, Autor, Publizist und Performer. Seine wichtigsten Publikationen sind "Botzheiterefaane", "Blas mer i d Schue", "Näbenusse" und "Da hast du den Salat".

Mein neues Buch ist im Buchhandel: mehr hier

08.11.2024 Chäferfüdletroche - wortgeschichtliche Tauchgänge, Topoff Interlaken

30.11.2024 Troche wie e Chäferfüdle - wortgeschichtliches Potpourri, 19 Uhr, Nik am Niklausenplatz, Schaffhausen  

 



Wort oder Ausdruck der Woche

Nach und nach – naadinaa

Im Hochdeutschen drücken wir mit dem Ausdruck nach und nach aus, dass etwas «allmählich, langsam und stetig» vor sich geht. Nach und nach ist eine verstärkende Doppelformel, in der zweimal dasselbe Wort mit und verbunden wird wie in für und für, je und je, um und um, wieder und wieder. Häufiger werden in Doppelformeln zwei unterschiedliche Wörter verbunden, die mit demselben Laut beginnen, also einen Stabreim haben: Kind und Kegel, gang und gäbe, die einen Endreim haben: in Saus und Braus oder die sich nicht reimen: mit Fug und Recht. Das Wort nach entstand als Adjektiv-Adverb zu nah(e) und entwickelte sich in der Bedeutung von «nahe bei» zu «unmittelbar danach».

Im Gegensatz zu vielen anderen Doppelformeln wird nach und nach heute noch regelmässig verwendet. Auf der Webseite des Kantons Thurgau können wir den Artikel «Thurgauer Gewässer sollen nach und nach revitalisiert werden» lesen. Und die «Neue Zürcher Zeitung» vom 17. April 2024 titelt «Adieu, Gasherd – Die Stadt Zürich legt ihre Gasherde nach und nach still».

In unseren Mundarten lautet dieser Ausdruck naaadisnaa, wie wir aus einem Song aus dem Jahr 1977 von Polo Hofer und den Rumpelstilz wissen, naadinaa, naatinaa, noodenoo oder nootnoo. Dass in der Mundart nach zu na(a) verkürzt werden kann, wissen wir aus Wörtern wie nadäm und Ausdrücken wie am Wääg naa. Diese Kurzform gab es schon im Althochdeutschen des frühen Mittelalters. Aber woher kommt dieses seltsame -di- oder -ti- anstelle von und?

Der Berner Germanist Otto von Greyerz (1863–1940) hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine kurze Abhandlung zu naatinaa geschrieben, eine sogenannte «Prachpille». Darin behauptet er, das -ti- sei ein Überbleibsel des althochdeutschen Ausdrucks nâho inti nâho. Durch Kürzung und teilweise durch Abschwächung sei vom althochdeutschen inti «und» nur noch -ti-, -di- oder -t- geblieben. Das ist eine nachvollziehbare, gute Erklärung mit dem Schönheitsfehler, dass die Doppelformel nâho inti nâho im Althochdeutschen nicht belegt ist. Erste Beispiele tauchen erst im Mittelhochdeutschen des hohen Mittelalters auf: nâh und nâh im 14. Jahrhundert. Dennoch pflichte ich von Greyerz zu, weil eine plausiblere Erklärung bis heute nicht vorliegt.

Auch der Wiesentaler Pfarrer und Dichter Johann Peter Hebel (1760–1826) hat die Doppelformel gebraucht. Im eindrücklichen Gedicht «Die Vergänglichkeit», in dem ein Vater seinem Sohn erklärt, dass alles ohne Ausnahme vergänglich ist, schildert er ihm den Untergang ihres Hauses so:

                        Z’letzt fuult’s im Fundement,

                        und ’s hilft nüt meh. Und wemme nootno gar

                        zweituusig zelt, isch alles zsemmegkeit.

                        Und entli sinkt ’s ganz Dörfli in sy Grab.    

(Die gesammelten Wörter der Woche finden Sie hier und in überarbeiteten Versionen im Buch "Chäferfüdletroche", das im Cosmos Verlag erschienen ist. Siehe oben)


Der Sprachatlas der deutschen Schweiz ist online! 13 Jahre lang habe ich an diesem Werk mitgearbeitet und seine Online-Ausgabe ist prächtig geworden, eine grossartige Arbeit. Schaut rein, es lohnt sich.


Neoländler, die Musikgruppe von EIGETS, hat eine prachtvolle neue CD gemacht


Siehe unter neolaendler.ch






AALUEGE

Eine Seite aus dem schönen Züritüütsch-Chinderchochbuech "Misch & Masch", das die Handelskette BachserMärt herausgegeben hat:  


Zum Baselbieter Mundartautor Jonas Breitenstein (1828-1877), der sehr schöne Hexameteridyllen geschrieben hat, gibt es eine sehr lesenswerte Website, in welcher eine umfangreiche Dokumentation zu Leben, Werk und Umfeld des Baselbieter Pfarrers und Dichters zusammengestellt ist.

 


Ein für Mundartinteressierte wichtiges, wunderbares, neues Buch, das endlich einen umfassenden Überblick gibt über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen. Herausgeber: Emanuel Ruoss und Juliane Schröter, erschienen im Schwabe Verlag:

  Schweizerdeutsch


In der Deutschschweiz hat die Reflexion über die eigenen Dialekte und deren Verhältnis zum Hochdeutschen eine lange Tradition. «Schweizerdeutsch» ist das erste Buch, das einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen gibt. Es zeichnet die wichtigsten öffentlichen Debatten darüber seit 1800 nach und ordnet sie in ihre politischen und kulturhistorischen Zusammenhänge ein. So macht es verständlich, wie Schweizerdeutsch in der Vergangenheit wahrgenommen und beurteilt wurde und warum es bis heute einen wesentlichen Teil der Deutschschweizer Identität bildet.

Der Gitarrist und Lautenist Christoph Greuter, mit dem ich oft und gern auftrete, hat zwei neue Lauten-CDs gemacht, die demnächst im Handel erscheinen:

ARCADIA | Italienische Lautenmusik der Hochrenaissance

Label : Narrenschiff (Nar 2020146)
SPREZZATURA | Tänze + Ricercari aus den frühesten Lautenhandschriften

Label : Narrenschiff (Nar 2020147)

Hörmuster auf www.christophgreuter.ch


Artikel, Tondokumente und Video

Schaffhauser Fernsehen "hüt im Gspröch" vom 4. März 2024

Interview "Mundartliteratur sollte endlich wieder erforscht werden!" auf blog.berndeutsch.ch

Der Generationentalk mit Estelle Plüss (Best-Elle), geleitet von Elias Rüegsegger vom Generationentandem und im Generationenhaus Bern am 17.12.2019

Schaffhauser Fernsehen "Hüt im Gspröch" mit Alfred Wüger vom November 2019 (zum Buch "Häbet nech am Huet")

"Reden wir überhaupt noch Dialekt?" Interview von Lena Rittmever im Bund vom 25.10.2019

"Mundartforscher Christian Schmid: 'Das ist eine Stadt-Land-Geschichte'", Interview mit Martin Uebelhart in der Luzerner Zeitung vom 4.5.2018

Mundart-Experte Christian Schmid beantwortet Leser-Fragen im Blick vom 23.10.2017 

"Die Pendler nehmen Wörter mit nach Hause", Interview mit Daniel Arnet im  Sonntagsblick 2017

"Der Wörtli-Schmid und seine Redensarten" Schnabelweid mit Christian Schmutz, SRF1 am 9.11.2017

Schwiizerdütsch im Top Talk auf Tele Top 2017

"Werum sich d Mundart dörf verändere" in Volksstimme vom 31.1.2017

Christian Schmid erzählt die Sage von der Scheidegg-March