Wort oder Ausdruck der Woche
Amtsschimmel – Amtsschümu
Kürzlich
las ich in der von Engelbert Kessler herausgegebenen Zeitschrift «Allgemeine
österreichische Beamten-Correspondenz» vom September 1864 eine satirische
Glosse über die Laufbahn des «Conceptbeamten». «Wie mancher solcher
Conceptsbeamten», las ich, «hat es sein ganzes langes Leben lang im Concepte nie
weiter gebracht als zum Schimmelreiter. Schimmel aber nennt man in der
Bureausprache das Formular, nach welchem einen und denselben Gegenstand
betreffende Referate, Erlässe etc. stilisirt werden.»
Der
Schimmelreiter ist ein Beamter, der streng nach Vorlage oder Vorschrift,
eben dem Schimmel, eine Schrift verfasst. Eine zweite Stelle in
der «Beamten-Corrspondenz» vom August 1864 macht deutlich, weshalb diese
Vorlage oder Vorschrift so heisst. Dort ist von «mehr als 10'000 Zahlungsanträge[n]»
die Rede, «welche […] nach einem Leisten, vulgo Schimmel (similis) bearbeitet
werden». Schimmel, erklärt uns die Zeitschrift, ist aus
lateinisch similis «ähnlich, gleich» entlehnt. Diesem Schimmel begegnen wir noch im «Wiener Dialektlexikon» von 2007 mit der
Erklärung: «Vorlage, Schema, Schablone».
Im heute noch gebräuchlichen Wort Amtsschimmel «übertrieben genaue Handhabung der
Dienstvorschriften, Bürokratismus», steckt also das aus dem österreichischen
Beamtendeutsch entlehnte Schimmel
«Vorlage, Formular, Vorschrift». Die frühesten Beispiele
für das Wort Amtsschimmel
sind aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
und zwar stammen sie aus der Redensart jedermann
will den Amtsschimmel reiten «jeder
hat gern einen sicheren Posten». Wir finden die Redensart zum Beispiel in Karl
Simrocks «Die deutschen Volksbücher» von 1846. Im heutigen Deutsch sind noch
zwei Redensarten geläufig: den
Amtsschimmel reiten «die Dienstvorschriften
übertrieben genau einhalten» und der
Amtsschimmel wiehert «es herrscht
Bürokratie».
Die «Aargauer Zeitung» setzte am 9. März 2011 über
einen Artikel zur Sache Steinbruch Jura Cement den Titel «Wider den
Amtsschimmel: Bohren ohne Bewilligung?» Der «Schwarzwälder Bote» vom 1. Oktober
2010 berichtete unter dem Titel «Höre den Amtsschimmel wiehern» über neue
Abwassergebühren für St. Georgen. Und im «Landboten» vom 13. Februar 2019 wehrt
sich Matteo Trivisano gegen rigide Beizenvorschriften unter dem Titel «Petition
gegen den Amtsschimmel». In unserer Vorstellung ist aus dem Schimmel «Vorlage» ein Schimmel
«weisses Pferd» geworden.
(Die gesammelten Wörter der Woche finden Sie
hier)
AALUEGE Eine Seite aus dem schönen Züritüütsch-Chinderchochbuech "Misch & Masch", das die Handelskette BachserMärt herausgegeben hat: