Christian Schmid ist ein Schweizer Mundartspezialist, Autor, Publizist und Performer. Seine wichtigsten Publikationen sind "Botzheiterefaane", "Blas mer i d Schue", "Näbenusse" und "Da hast du den Salat".

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Wort oder Ausdruck der Woche

unter Dach und Fach

Die «Berner Zeitung» titelte am 12. September 2017: «Tourismusentwicklungsgesetz unter Dach und Fach» und das «Zofinger Tagblatt» am 5. November 2021: «Geld für attraktiven Ländiweg ist unter Dach und Fach». In beiden Titeln meint die Redensart unter Dach und Fach sein so viel wie «(nach Beratungen) beschlossen». Ursprünglich wendete man die Ausdrücke unter Dach und Fach bringen und unter Dach und Fach sein auf Gebäude an, die man fertig baut, um darin im Trockenen und in Sicherheit leben zu können. In den «Beiträgen zur weitern Ausbildung der deutschen Sprache» von 1796 heisst es: «Unter Dach und Fach sein, heisst, ein Haus fertig gebaut haben, so dass man trocken darunter wohnen und sich wärmen kann. Einem Dach und Fach geben, heisst, einen beherbergen und erlauben, dass er für seinen Unterhalt sorgen kann.»

Dach und Fach ist eine verstärkende Doppelformel wie Sinn und Zweck oder Fug und Recht. Doppelformeln spielten in der traditionellen gesprochenen Sprache, vor allem auch in der Rechtssprache, eine wichtige Rolle. Man konnte sie als formelhafte Wendungen gut memorieren und sie hatten in gewisser Weise eine beschwörende Funktion. Dach bezeichnet den oberen Abschluss eines Gebäudes; das Wort ist verwandt mit dem Wort decken wie lateinisch tectum «Dach, Decke» mit tegere «decken». Mit dem Wort Fach bezeichnen wir in der Regel ein Abteil oder einen Teil von etwas. Wir sprechen vom Bankfach, vom Fach in einer Schublade, vom Schulfach, vom Meister seines Fachs oder von der Fachhochschule. Das Wort beruht auf einer indogermanischen Wurzel mit der Bedeutung «binden, flechten» und bezog sich ursprünglich auf etwas, z. B. Gebäudeteile, mit geflochtenen Wänden. Im Deutsch des Mittelalters konnte Dach im übertragenen Sinn das ganze Haus bezeichnen und Fach einen Teil oder einen Raum eines Hauses. Vom 15. bis ins 16. Jahrhundert wird in Verordnungen oft die Formel in Dach und Fach gehalten bzw. erhalten verwendet, wenn gemeint ist, dass man ein Gebäude in gutem Zustand halten und nicht verlottern lassen soll. Dieser Formel ist in der «Jurisprudentia ecclesiastica» (1652) des Strafrechtlers Benedict von Carpzov, vor allem in Bezug auf Pfarrhäuser, ein ganzes Kapitel gewidmet. Eine Hamburger Feuerverordnung von 1685 schreibt vor, dass zur Brandbekämpfung in jedem Gebäude grosse Gefässe «mit Wasser angefüllet / unter Dach und Fach», d. h. im Haus, stehen müssten. In seinem «Dictionnaire des langues Française et Allemande» setzt Louis Henschel unter Dach und Fach gleich mit in Sicherheit, gesichert, sicher, ausser Gefahr. Fidel von Baurs «Handbuch für Offiziere des Generalstabs» von 1840 definiert unter Dach und Fach in militärischer Hinsicht so: «Bei Offizieren: angemessene Wohnung mit Bett, den erforderlichen Möbeln, Heizung, Licht und Stallung für ihre Pferde» und «Bei der Mannschaft: Platz in der Wohnstube des Quartierträgers, Beleuchtung, Kochholz und Geschirr zur Selbstbereitung der Speisen, Platz in der Küche und zum Schlafen.»

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts löst sich der Ausdruck unter Dach und Fach vom Haus und wird als Redensart freier verfügbar. Franz Tetzner schreibt in seinem «Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke» von 1896: «Unter Dach und Fach bringen = unter Schutz und in Ordnung bringen». Um 1900 wird unter Dach und Fach bringen in der Amtssprache gängig im Sinne von «beschliessen». In den «Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags» von 1900 lesen wir, dass «die Stempelvorlage sicher unter Dach und Fach gebracht worden ist».



(Die gesammelten Wörter der Woche finden Sie hier und in absehbarer Zeit in überarbeiteten Versionen in einem Buch, das im Cosmos Verlag in Arbeit ist. Siehe oben)


Neoländler, die Musikgruppe von EIGETS, hat eine prachtvolle neue CD gemacht

Siehe unter neolaendler.ch






AALUEGE

Eine Seite aus dem schönen Züritüütsch-Chinderchochbuech "Misch & Masch", das die Handelskette BachserMärt herausgegeben hat:  


Zum Baselbieter Mundartautor Jonas Breitenstein (1828-1877), der sehr schöne Hexameteridyllen geschrieben hat, gibt es eine sehr lesenswerte Website, in welcher eine umfangreiche Dokumentation zu Leben, Werk und Umfeld des Baselbieter Pfarrers und Dichters zusammengestellt ist.

 


Ein für Mundartinteressierte wichtiges, wunderbares, neues Buch, das endlich einen umfassenden Überblick gibt über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen. Herausgeber: Emanuel Ruoss und Juliane Schröter, erschienen im Schwabe Verlag:

  Schweizerdeutsch


In der Deutschschweiz hat die Reflexion über die eigenen Dialekte und deren Verhältnis zum Hochdeutschen eine lange Tradition. «Schweizerdeutsch» ist das erste Buch, das einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Einstellungen zum Schweizerdeutschen gibt. Es zeichnet die wichtigsten öffentlichen Debatten darüber seit 1800 nach und ordnet sie in ihre politischen und kulturhistorischen Zusammenhänge ein. So macht es verständlich, wie Schweizerdeutsch in der Vergangenheit wahrgenommen und beurteilt wurde und warum es bis heute einen wesentlichen Teil der Deutschschweizer Identität bildet.

Der Gitarrist und Lautenist Christoph Greuter, mit dem ich oft und gern auftrete, hat zwei neue Lauten-CDs gemacht, die demnächst im Handel erscheinen:

ARCADIA | Italienische Lautenmusik der Hochrenaissance

Label : Narrenschiff (Nar 2020146)
SPREZZATURA | Tänze + Ricercari aus den frühesten Lautenhandschriften

Label : Narrenschiff (Nar 2020147)

Hörmuster auf www.christophgreuter.ch


Artikel, Tondokumente und Video

"Häbet nech am Huet" (10.11.2020) im Nighttalk auf Radio Zürisee.

Interview "Mundartliteratur sollte endlich wieder erforscht werden!" auf blog.berndeutsch.ch

Der Generationentalk mit Estelle Plüss (Best-Elle), geleitet von Elias Rüegsegger vom Generationentandem und im Generationenhaus Bern am 17.12.2019

Schaffhauser Fernsehen "Hüt im Gspröch" mit Alfred Wüger vom November 2019 (zum Buch "Häbet nech am Huet")

"Reden wir überhaupt noch Dialekt?" Interview von Lena Rittmever im Bund vom 25.10.2019

"Mundartforscher Christian Schmid: 'Das ist eine Stadt-Land-Geschichte'", Interview mit Martin Uebelhart in der Luzerner Zeitung vom 4.5.2018

Mundart-Experte Christian Schmid beantwortet Leser-Fragen im Blick vom 23.10.2017 

"Die Pendler nehmen Wörter mit nach Hause", Interview mit Daniel Arnet im  Sonntagsblick 2017

"Der Wörtli-Schmid und seine Redensarten" Schnabelweid mit Christian Schmutz, SRF1 am 9.11.2017

Schwiizerdütsch im Top Talk auf Tele Top 2017

"Werum sich d Mundart dörf verändere" in Volksstimme vom 31.1.2017

Christian Schmid erzählt die Sage von der Scheidegg-March