Die Mystikerin Brigitta von Schweden (1303–1373) behauptet in ihren im 15. Jahrhundert veröffentlichten und zu Beginn des 16. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzten Visionen, dass der Mensch, der «die sel und den leib» hat, Gott erst dann «on underlass anhangen» kann, wenn das Fleisch «tödelich gescheiden wirdt vom geist». Zu Beginn des 16. Jahrhunderts schreibt der Franziskaner Fridolin Meditationen für Klarissen, die 1514 in Nürnberg unter dem Titel «walfart der pilgerin auff steigent in die heilige stat des hymmelischen Hierusalem» gedruckt werden. Darin erklärt er, dass der Mensch nicht deswegen Mensch genannt werde, «das er synlicheit hat / und das er ysset und trincket». Er werde nur so genannt, «darumb das er vernunfft hatt / anders hiess ein tier auch ein mensch». Nur wenn er so lebe, wie es ihm die Vernunft vorschreibe, habe er «menschlich gelebet». Das sinnliche Wahrnehmen wird, wie das Essen und Trinken, dem Bereich des Tierischen im Menschen zugezählt. Was selig macht, ist nur dem Verstand zugänglich und deshalb dem Menschen vorbehalten. Eine Verbindung oder Vereinigung mit Gott gelingt nur über den Geist. Das sind nur zwei frühe Beispiele für die radikale Entkörperlichung des Menschen im christlichen religiösen Denken, das sich, vor allem in traditionellen fundamentalistischen Strömungen, bis heute hält.
Während der Einfluss traditionellen christlichen Denkens zunehmend schwindet, entwickeln sich in der Denkrichtung des Transhumanismus neue Visionen des körperlosen Selbst in den nichtkörperlichen Welten der Bits und Bytes, im Cyberspace. Die weitestgehenden Vorstellungen gehen dahin, das Überleben der Menschen im Cyberspace zu sichern, auch wenn biologisches Leben nicht mehr möglich sein wird. Diese Vorstellungen postulieren, dass es möglich sein wird, Künstliche Intelligenz so zu entwickeln, dass Mischwesen aus Menschen und Apparaten, Cyborgs, und Apparate fähig sein werden, wie Menschen zu wissen, zu denken und zu planen. Auch in dieser Vision geht es nur um den Geist und die Erde erscheint als ökologisch angeschlagenes Jammertal, das nur noch so lange funktionieren muss, bis sich die technologische Vision erfüllt hat. Vorangetrieben werden muss allein die Entwicklung der Technologie im Sinn der Vision; die zunehmende Zerstörung der Ökosphäre wird in Kauf genommen.
Die Propheten, die Transhumanismus als letzte Chance für das Überleben der Menschheit verkünden, versprechen uns dasselbe wie die Geistlichen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit: ein jenseitiges Paradies. Sie beleben auch den uralten Mythos neu, der Mensch sei die Krone der Schöpfung, denn allein um sein Überdauern des teilweisen oder vollständigen biologischen Kollapses geht es im Transhumanismus, der das Exklusive seines Anspruchs bereits in seiner Bezeichnung trägt.
Während die Vereinigung von Mensch und Maschine bereits nutzbringend angewendet wird mit Prothesen und Implantaten, entwickelt sich vor allem in den sozialen Netzwerken ein Wettrennen um das schöne, digital manipulierte Körperbild, das zurückschlägt auf den biologischen Körper, der entsprechend den Bildidealen aufgehübscht werden muss. Eine mächtige Schönheitsindustrie bietet Mittel und Operationen zum Erreichen dieses Ziels an. Die intensive Selbstüberwachung hat oft Suchtcharakter; führt sie nicht zu einem akzeptablen Ergebnis, sind Selbstverachtung, Spott und Ausgrenzung die Folge. Obwohl hier dem biologischen Körper sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist er dem digitalen Bildkörper vollständig untergeordnet. Wir sind schon heute insofern digital dominierte Organismen auf dem Weg zum Cyborg, als wir uns die Art und Weise, wie wir unseren Körper formen oder mit Geräten beim Sporttreiben kontrollieren wollen, längst aus dem Cyberspace diktieren lassen.