Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 ist die Migration
ein zentrales Thema. Besonders Donald Trump, republikanischer Bewerber für das Präsidentenamt,
sein Vize J. D. Vance und ihre MAGA-Gefolgschaft werden nicht müde zu betonen,
dass die sogenannten illegalen Migranten aus dem Süden Krankheiten, Kriminalität
und Drogen ins Land brächten und die amerikanische Gesellschaft regelrecht
zersetzten. Verschwiegen wird dabei, dass es der US-Wirtschaft ohne die oft zu
Niedrigstlöhnen schuftenden, eingewanderten Arbeiter markant schlechter ginge.
Weltweit für grosses Aufsehen sorgte die wiederholte Behauptung der beiden
republikanischen Kandidaten für die höchsten Ämter, dass in Springfield, Ohio,
die Einwanderer die Hunde und Katzen Einheimischer essen würden. Vielleicht
verdankte Trump diese Geschichte seiner Vertrauten, der ultrarechten Aktivistin
und Verschwörungstheoretikerin Laura Loomer. Er wiederholte sie in der weltweit
verfolgten Fernsehdebatte vom 9. September mit der Demokratin Kamala Harris und
sagte, Leute hätten das im Fernsehen gesagt, nachdem ihn der Moderator darauf
aufmerksam gemacht hatte, die Stadtverwaltung von Springfield bestreite diesen
Sachverhalt. Später gab Vance zu, die Geschichte erfunden zu haben, um sich Gehör zu verschaffen.
Mir klingelten die Ohren. Die Behauptung, Migranten ässen Katzen, kenne ich seit meiner Kindheit. Wie oft hörte ich sagen, die Tschingge, die italienischen Saisonniers, lebten nicht nur von Minestrone, Teigwaren und Polenta. Auch sie bräuchten Fleisch, das sie sich jedoch nicht leisten könnten. Was sie als Kaninchenbraten deklarierten, seien in Tat und Wahrheit Tachchännelhase «Dachhasen», eben Katzen, die sie gefangen hätten. Chatzefrässer, Chatzestrecker «Katzentöter» und Maiser «Maisfresser» nannten auch wir Kinder sie oft abschätzig. Der Zürcher Paul Wehrli lässt in seinem Kindheitsroman «Martin Wendel» von 1943 einen Jungen einer verfeindeten Jugendgruppe zurufen: «Ihr seid ja gar keine Schweizer! Ihr sind fuuli Hünd und Chatzestrecker!» Ernst Amacher (1889–1980), der Pfarrer im zürcherischen Dürnten war, erzählt in seinen Erinnerungen «S gaht fürsi» von 1954, man habe den Italienern «Chatzefrässer» gesagt und behauptet, sie «stähled Hüehner und Chüngel und jaged Chatze und braatets näimet näbetusse wie Zigüüner über em löödige Füür.» In Silvio Blatters Roman «Eine unerledigte Geschichte» von 2006 erzählt der Ich-Erzähler vom Katzentöten und ergänzt: «Die Italiener machen das so, sie können das, die Italiener sind Katzenstrecker. Der Stiefvater nennt sie so, seine neuen Arbeitskollegen aus Kalabrien und Sizilien.»
Die Schimpf- und Spottwörter Katzenfresser und Katzenstrecker sind alt. In der Schweiz nannte man vor allem die Luzerner Chatzestrecker. Oft wird behauptet, die Bezeichnung komme daher, dass die Luzerner früher über den Katzenstrick, einen Pass und Pilgerweg, ins schwyzerische Einsiedeln gepilgert seien. Doch der Dialektologe Friedrich Staub stellt fest, dass die Bezeichnung wohl «Katzentöter» meine und auf die Reformationszeit zurückgehe. Der Zürcher Oberländer Johann Widmer erzählt in seiner Geschichtensammlung «En Chranz» von 2021, man habe über diejenigen aus dem Dorf Tagelswangen gespottet: Taglischwanger, Chatzefanger, Chatzestrecker, Hundsverrecker. Auf «ortsnecknamen.de» lesen wir, dass auch die Leute aus dem baden-württembergischen Heroldstatt-Ennabeuren als Katzastrecker verspottet wurden, diejenigen aus Giengen an der Brenz Katzafresser. Laut dem «Pfälzischen Wörterbuch» ist Katzefresser ein Neckname für die Bewohner von Schwegenheim und Bolanden. Auch die Bewohner des westpfälzischen Matzenbach, einst zugewanderte Jenische, werden als Katzenfresser verspottet.
Den ältesten Katzenfresser-Beleg habe ich in Johann David Michaelis’ Buch «Mosaisches Recht» von 1776 gefunden:
«Esel, Hunde, Katzen, würden bey uns noch viel weniger gegessen werden, so essbar sie auch an und vor sich sind, und dis gehet so weit, dass, wenn die Nachbarn bisweilen einer Stadt einen Vorwurf machen wollen, sie ihre Bürger Eselfresser oder Katzenfresser nennen, ein Schimpfwort, über das so oft blutige Schlägereien entstanden sind.»
Ein Buch aus dem Jahr 1878 des Historikers Friedrich Kortüm berichtet sogar von einem älteren Beleg, der aber nicht zu verifizieren ist. Im Jahr 1574 sollen die belagerten Leidener ihren Feinden zugerufen haben: «Ihr nennet uns Hund- und Katzenfresser; uns jedoch mangelts an keiner Kost, so lange ihr noch Hunde und Kühe höret in unserer Stadt.»
Missliebige Fremde und Feinde zu verunglimpfen mit dem Vorwurf, sie ässen Katzen, hat eine lange Geschichte. Dass Trump und die Seinen glauben, mit Verunglimpfungen Wähler fangen zu können, lässt tief blicken. Wir aus der Schweiz sollten jedoch zuerst auf unsere Geschichte zurückblicken, bevor wir uns zu sehr darüber auslassen und sagen: Wie kann man nur!