Christian Schmid ist ein Schweizer Mundartspezialist, Autor, Publizist und Performer. Seine wichtigsten Publikationen sind "Botzheiterefaane", "Blas mer i d Schue", "Näbenusse" und "Da hast du den Salat".

Umwelt

Nach und nach stellt sich immer deutlicher heraus, dass Umwelt angesichts der Klimazerrüttung, in der wir stecken, und des Ökozids, den wir verursachen, ein Unwort ist. In ihm hat sich das Grundübel unserer Zivilisationsform verfestigt und in unseren Köpfen festgesetzt. Dass nämlich der Mensch als sogenannte Krone der Schöpfung allein im Zentrum des Daseins steht und alles andere, das ihm untertan zu sein hat, nach religiösen und philosophischen Dogmen, ihn als eine Art Beiwerk umgibt. Er kann es sich nach seinem Belieben aneignen, es manipulieren, ausbeuten und zerstören. Und die Philosophie fragt sich bis heute, ob und wie der ausserhalb von allem stehende Mensch diese Umwelt wahrnehmen kann. Solange wir das Dasein von dieser Warte aus betrachten, werden wir unfähig sein, uns ernsthaft der Aufgabe zu stellen, unser Überleben zu sichern.

Es gibt weder den Menschen und die Umwelt noch den Menschen und die Natur. Es gibt eine Ökosphäre, die alles pflanzliche, tierische und menschliche Leben umfasst sowie alles, das dieses Leben ermöglichte und möglich macht: die Materie, die Kreisläufe und die Netzwerke. Der Mensch ist Teil dieser Ökosphäre, und zwar durch seine Evolutionsgeschichte seit langer Zeit. Der Mensch hat in dieser Ökosphäre keine Privilegien. Er tut nur so, als hätte er sie.

Das Wort Umwelt hat keine lange Geschichte. Der Kluge, das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, behauptet in seiner 24. Auflage von 2002, es sei im 19. Jahrhundert zuerst bezeugt beim Deutsch schreibenden dänischen Dichter Jens Baggesen (1764–1826) und hält sich damit an das «Deutsche Wörterbuch». Das ist nicht richtig. Wir begegnen ihm bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts. 1794 schreibt der Arzt Bernhard Christoph Faust in seinem «Gesundheits-Katechismus» von den «in der Umwelt gegebenen Lebensbedingungen» und meint mit Umwelt «die Welt, in der ein Mensch lebt; das, was ihn umgibt». 1798 braucht Wilhelm Abraham Teller Umwelt in seinem «Neuen Magazin für Prediger» im Gegensatz zu Nachwelt im Sinne von «die heutige, (den Prediger umgebende) Gemeinschaft». Die moderne biologische Bedeutung prägte der Zoologe Jakob Johann von Uexküll (1864–1944): «das, was ein Lebewesen aus seiner Umgebung aufnimmt, und das, was es in seiner Umgebung beeinflusst; Wechselwirkung zwischen Lebewesen und Umgebung». Umwelt ist für Uexküll also jener Teil des Ökotops, mit dem ein Lebewesen sich austauscht. Diese Bedeutung ist auf den Menschen in der heutigen Zivilisation, der fährt, fliegt und elektronisch kommuniziert, nicht mehr anwendbar.

In unserer heutigen Sprache hat sich das Wort Umwelt in zusammengesetzten Wörtern vervielfacht und verleitet uns in mannigfacher Weise zum falschen Denken, von Umweltabgabe, über Umweltaktivist(in), Umweltauflage, Umweltbehörde, Umweltforschung, Umweltgesetzgebung, Umweltgipfel, Umweltkatastrophe, Umweltminister(in), Umweltpolitik und Umweltqualität bis zu Umweltschutz und Umweltschützer(in). Lesen wir diese Bezeichnungen, vermitteln sie uns das Gefühl, wir täten etwas für etwas anderes. Dabei ist, was umweltschädlich ist, auch für uns schädlich. Umweltzerstörung zerstört auch uns. Das Wort Umwelt sollte aus dem Vokabular einer ernst zu nehmenden Diskussion um Fragen, die die Ökosphäre betreffen, gestrichen werden. Ökosphäre ist das Wort, das wir brauchen sollten.